
Meuthen will keineswegs eine Spaltung erzwingen, schon gar nicht im Konflikt. Sondern eine strategische Diskussion ohne Denkverbote.
Grundlage für die Ideen Meuthens ist ein Interview bei Tichys Einblick.
AfD-Chef Jörg Meuthen plädiert für Trennung vom „Flügel“
Meuthen dazu auf seiner Facebookseite:
Ich will an dieser Stelle heute früh noch einmal darlegen, um was es hier geht und um was nicht, was ich hier anrege und was nicht, und auch, warum ich das tue.
Ich entwickle in diesem Interview ganz bewusst eine strategische Überlegung, die seit dem von vielen in der Partei bis heute als traumatisch empfundene Spaltungsparteitag in Essen Anfang Juli 2015 als absolutes Tabu betrachtet wird: nämlich die Überlegung (!) einer Trennung der Alternative für Deutschland von bislang einer in zwei Parteien. Seit Essen 2015 gilt es quasi als Mantra in unserer Partei, Einheit, Einheit und nochmal Einheit zu beschwören und unter egal welchen Umständen zu verteidigen. Wer es auch nur wagt, ansatzweise anderes in Erwägung zu ziehen, wird sogleich als „Spalter“ stigmatisiert und muss sich sehr warm anziehen. Nun steht ein solches Denkverbot aber zugleich in unübersehbarem Widerspruch zu einem anderen Grundsatz unserer Partei, nämlich dem, die Meinungsfreiheit und den offenen Diskursraum sehr weit auszulegen. Tabus haben da, soweit sie nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen oder gar negieren, eigentlich keinen Platz. Und das ist auch ganz richtig so. Dann freilich sollte das auch für Fragen der strategischen Ausrichtung gelten.
Dies in Anspruch nehmend habe ich mir in dem Interview also den bewussten Tabubruch erlaubt und eine strategische Diskussion ohne Denkverbote über die Zukunft unserer Partei angeregt. In der muss und darf dann logischerweise alles zur Diskussion gestellt werden, so auch die Idee einer Trennung der beiden verschiedenen Grundströmungen unserer Partei in künftig zwei Parteien. Wohlgemerkt: Ich halte diese Diskussion für richtig, ja sogar für notwendig. Nicht mehr und nicht weniger. Manche Kritiker schreiben nun, ich hätte in dem Interview die Spaltung unserer Partei gefordert. Um das hier ganz klar zu sagen: Nein, das habe ich nicht!
Sondern ich habe die Idee entwickelt, ob eine einvernehmliche (!) Trennung – und nicht etwa eine Spaltung in maximalem Konflikt wie anno 2015 in Essen, das sollte sich tatsächlich niemals so oder ähnlich wiederholen – der bisherigen Mitgliederschaft nicht vielleicht allen (!) Beteiligten und damit unserem künftigen politischen Erfolg zum Vorteil gereichen könnte. Sicherlich, ein solches Vorgehen ginge auch mit Nachteilen und Risiken einher, niemand kann das ernsthaft in Zweifel ziehen. Es wäre aber grundfalsch, dem nicht auch die damit einhergehenden Vorteile und Chancen gegenüberzustellen, und dann eine nüchterne Chancen-Risiken-Abwägung grundsätzlich zu verweigern.
Die Ausgangslage ist die einer Partei, die von zwei sehr unterschiedlichen Grundströmungen geprägt ist. Da ist die große Gruppe der freiheitlich-konservativ geprägten Mitglieder, die sich dem Wirtschaftssystem der Sozialen Marktwirtschaft und einem freiheitlichem, auf das notwendige Maß begrenzten Staatswesen verhaftet sehen. Und da ist auf der anderen Seite die keineswegs kleine Gruppe des sogenannten „Flügels“, einer Gesinnungs- und Haltungsgemeinschaft ohne institutionell festgelegte Strukturen, aber mit einem innerhalb dieser Gruppierung homogenen Gesellschafts- und Staatsverständnis, das dem freien Markt und Unternehmertum grundlegend misstraut, einen kollektivistischen Gesellschaftsansatz verfolgt und in den Bereich des Sozialismus hineinreichenden Lösungsansätzen durchaus wohlgesonnen gegenübersteht. Selbst wenn, wie es der Bundesvorstand kürzlich gefordert und die Spitze des Flügels dem in gesetzter Frist zu entsprechen zugesagt hat, der Flügel sich als Bündnis bald auflöst, ist doch unstrittig, dass die diesem Bündnis zugrundeliegende Haltungsgemeinschaft sich deshalb doch nicht in Nichts auflöst, und um auch das zu sagen: Das kann man auch nicht verlangen.
Es ließen sich ungezählte Beispiele über die Jahre hinweg aufführen, in denen diese beiden grundlegend verschiedenen Politik- und Gesellschaftsverständnisse in der konkreten politischen Arbeit in einen letztlich unauflösbaren innerparteilichen Konflikt zueinander gerieten und bis heute geraten. Die zwangsläufigen Folgen waren und sind bis heute permanente Differenzen, die es erstens unseren Gegnern leicht machen, uns zu Teilen als nicht einig darzustellen, und die zweitens in sehr erheblichem Maß Ressourcen unproduktiv binden, ohne dass dem ein das rechtfertigender politischer Ertrag gegenüberstünde.
In einer solchen Ausgangslage zweier grundlegend unterschiedlicher Politikverständnisse und zu Teilen fundamentalem Dissens nicht nur über die politischen Inhalte, sondern nicht selten auch über in der politischen Arbeit und öffentlichem Auftritt an den Tag zu legenden Stil, die man nicht ständig mit diplomatischer Einheitsrhetorik übertünchen kann und die manchen von uns – und zwar von beiden Seiten! – über die Jahre immer wieder zu Kompromissen weit über das Normale hinausgehend, zuweilen an den Rand der Selbstverleugnung reichend geführt hat, drängt sich die Frage förmlich auf, ob es nicht klüger sein könnte, die jeweils eigenen politischen Wert- und Zielvorstellungen nicht vielleicht besser getrennt und in wechselseitiger Achtung voreinander zu verfolgen, als die nicht zu leugnenden Konflikte ad infinitum weiterzuführen, sich darin aufzureiben und dadurch permanent unter den tatsächlichen politischen Möglichkeiten zu bleiben.
Diese Frage stelle ich nun, auch vor dem Hintergrund, dass in anderen europäischen Staaten wie beispielsweise in Italien (Lega und Fratelli d’Italia), in Belgien (Nieuw-Vlaamse Alliantie und Vlaams Belang) und den Niederlanden (VVD und PVV) das Modell zweier rechtskonservativer Parteien mit unterschiedlichen Akzentuierungen durchaus sehr erfolgreich praktiziert wird. Ich wünsche mir, dass diese Frage in der nächsten Zeit wirklich ergebnisoffen und konstruktiv geführt und schließlich gemeinschaftlich entschieden wird, mit welchem Ergebnis auch immer.
Dabei geht es, das macht diese Diskussion zu einer wichtigen politstrategischen Frage, sehr stark auch um das erreichbare Wählerpotential. Auch und sogar besonders deshalb wäre es eine geradezu törichte Position, sich jeder Überlegung dazu grundsätzlich und sinnlos tabuisierend zu verweigern. Es steht völlig außer Zweifel, dass es eine große Zahl potentieller Wähler aus dem bürgerlich- konservativen Milieu gibt, die durchaus bereit wären, die freiheitlich-konservative AfD zu wählen, die zugleich aber klar artikulieren, dies wegen des Flügels, dessen Positionen und Auftretens, gerade auch seiner maßgeblichen Exponenten nicht tun zu können, solange diese Teil der AfD sind. Scharen engagierter AfD-Mitglieder kennen diese Einstellung aus ungezählten Bürgergesprächen an Wahlkampfständen oder wo sonst auch immer. Und ebenso ist es hochwahrscheinlich so, dass grundsätzlich den Positionen wohlgesonnene Wähler die AfD trotz dieses Angebotes nicht zu wählen bereit sind, weil ihr Teile der AfD zu „wirtschaftsliberal“ und eben nicht „sozialpatriotisch“ sind, was nicht ihrer eigenen Grundhaltung entspricht, weswegen auch dort Wählerpotentiale ungenutzt bleiben, die zu gewinnen bei getrenntem Auftreten durchaus wahrscheinlich wäre.
Ungenutzte Wählerpotentiale sind hier also ein Preis, der nicht notwendigerweise zu entrichten wäre, träte man getrennt auf. Und durch diese Hemmnisse bewegt sich die Alternative für Deutschland auf Bundesebene zwischen 10 und 15 %, es gelingt ihr mit den beschriebenen Hemmnissen jedoch nicht, ihr eigentliches Wählerreservoir zu mobilisieren. Sehr zur Freude unserer zahlreichen politischen Gegner, zum Verdruß unserer engagierten Mitglieder und Wahlkämpfer.
Nach meiner Einschätzung sind beide Gruppierungen in der Partei eindeutig stark genug, eigenständig bestehen zu können, zumal dies erhebliche zusätzliche Wählergruppen anders als bisher erreichbar machte. Das „blaue Lager“ insgesamt könnte dergestalt durch getrennten und damit hier wie dort homogeneren und damit gefestigteren und überzeugenderen Auftritt also mehr, nicht etwa weniger Stimmen erreichen. Dies übrigens bundesweit, denn es geht mir bei diesen Überlegungen nicht etwa um eine regionale Aufspaltung in eine West- und eine Ost-AfD . diesen Gedanken hielte auch ich für falsch. Er ließe auf beiden Seiten viele frustriert und politisch heimatlos zurück, deshalb könnte es das nicht sein.
Zusammenfassend: Ich will keineswegs eine Spaltung erzwingen, schon gar nicht im Konflikt. Sondern ich möchte eine strategische Diskussion ohne Denkverbote und sinnlose Tabus, in der für die Zukunft auch eine gut organisierte und einvernehmliche Trennung aus den genannten Gründen in Erwägung gezogen werden darf. Ich weiß übrigens, dass es solche Überlegungen durchaus auch auf beiden Seiten der Partei gibt. Aus gutem Grund, es ist nämlich eine vernünftige Überlegung, die hier wie dort neue Chancen auf wirkliche politische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen kann.
Besonders erfreulich wäre es, wenn diese Diskussion von allen Beteiligten ruhig, besonnen, sachlich und zielorientiert geführt werden würde, denn so erreicht man stets am meisten.
Zeit daher für strategische Diskussion.